Die Freiheit bewahren - Hans Schoch
Impressionen > 2022
Hans Schoch, Historiker aus Schaffhausen, referierte in der «Zunft zum Grimmen Löwen» in Diessenhofen über den Widerstand gegen Hitler-Deutschland. Ein Thema von beklemmender Aktualität.
Nach dem landläufigen Geschichtsbild drohte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg ein militärischer Angriff. Der Referent stellte klar, dass das Hitlerregime eine andere Strategie verfolgte. Berlin wollte sie kampflos annektieren und führte einen wüsten Propagandakrieg. Eine Hetz- und Lügenkampagne sollte das Volk einschüchtern und zermürben. Die Agitation wurde von der Schweizer Presse durchkreuzt. Sie hielt unsere Werte hoch, verwarf den Nationalsozialismus und berichtete über die Hitlerei wahrheitsgetreu.
Das Schweizer Volk war antinazistisch gesinnt. Nur eine kleine Minderheit wollte die Schweiz nach deutschem Vorbild «erneuern». Doch als die deutsche Wehrmacht auf den Siegeszug war, breitete sich eine Untergangsstimmung aus. Es schien, als sei Widerstand aussichtslos. Angst und Defätismus grassierten. Im Radio meldete sich Bundespräsident Pilet-Golaz zu Wort. Statt dem deprimierten Volk Mut zuzusprechen, sprach er von einer «Anpassung an die neuen Verhältnisse». Das wirkte wie ein Aufruf zur Selbstaufgabe.
Jüngere Offiziere verschworen sich gegen die Anpassungspolitik. Sie schlossen einen Geheimbund und gelobten, unter allen Umständen bewaffneten Widerstand zu leisten. Sollte der Bundesrat kapitulieren, würden sie den Gehorsam verweigern und die Truppen mit gefälschten Befehlen in den Kampf werfen. Umgekehrt gab es hohe und höchste Offiziere, die mit den Nazis sympathisierten. Einer bezeichnete die Schweiz als Querschläger in Hitlers «Neuem Europa». Sie bewunderten die Wehrmacht und hielten sie für unbesiegbar. Im Sommer 1940 trat das faschistische Italien an der Seite Hitlers in den Krieg ein. Frankreich war von den Deutschen besetzt, die Schweiz vom Feind umzingelt. General Guisan konzentrierte das Gros der Armee zur Rundumverteidigung in den Alpen. Im Reduit hätte der Feind auf Granit gebissen. Das Volk schöpfte wieder Zuversicht und Kraft zum Widerstand.
Die Schweizer Résistance war überzeugt: Einem verbrecherischen Aggressor muss man die Stirne bieten. Keinesfalls darf man ein Bild der Schwäche von sich geben. Mit Nachgiebigkeit macht man ihn nur noch gefrässiger. Diese Erfahrung machten die Westmächte, als sie vor dem Krieg Hitler lange gewähren liessen. Sie sollte uns eine Mahnung sein. An dieser Stelle spielte Schoch auf den Ukrainekrieg an. Man stelle sich vor, was folgen würde, wenn der Westen die Ukrainer dazu brächte, die Waffen zu strecken, damit Putin mit dem Krieg aufhört und wir vorläufig unsere Ruhe haben.
Im Fokus steht auch wieder die Neutralität. Wie ist sie definiert? Das Neutralitätsrecht, das im Haager Abkommen von 1907 kodifiziert ist, verbietet den Neutralen, sich an Kriegen militärisch zu beteiligen. Sanktionen – wie heute gegenüber Russland – sind jedoch erlaubt. Rettete sich die neutrale Schweiz selber? Der Referent gab zu bedenken:
Es waren die Alliierten, die Europa von der braunen Pest erlösten und den Blutzoll bezahlten. Sie hauten auch die Schweiz aus ihrer prekären Lage heraus. Bis es soweit war, musste sie sich selber wehren. Sie liess sich nicht nazifizieren. Die Nazis scheiterten mit ihrer Strategie der kampflosen Übernahme.
Freiheit und Demokratie sind keine Selbstläufer. Die totalitären Geister wurden im Zweiten Weltkrieg nicht ein für allemal besiegt. In Krisen melden sie sich zurück. In der Welt von heute erleben wir deren Wiederkehr. Es gilt, sie zu bannen.
Hermann Sieber, Zunftschreiber