Die besten Doktoren Gedicht 1864
Gedicht von Zünfter Pfarrer Zehnder vorgetragen am Jahresessen der Gesellschaft am 2. Montag nach Lichtmess 1864
Doktoren gibt es viel auf Erden: wer hat sie je gezählt! Nicht alle heilen die Beschwerden der vielgeprüften Welt.
So mancher zeigt mit grossen Worten auf seinen Doktorhut, und ist doch trotz des schönen Titels in keinem Fache gut.
Mit Stock und Brille wohlbewaffnet, mit Weisheit angetan, schaut mancher wie vom hohen Rosse die ganze Welt sich an,
spricht in dem feinsten Dialekte als wie in deutschen Landen, doch wann man horcht und wann man fragt hat niemand ihn verstanden.
Dann kenn ich andere Doktoren aus alt und neuer Zeit: sie sind bis über Mund und Ohren voll von Gerechtigkeit,
sie sind gewandt im Römerrecht, im deutschen auch dazu, und machen gern für gute Münz, ein X dir für ein U.
Ganz anderer Art sind die Doktoren, die ich auch preisen will, zu retten, was da scheint verloren, ist ihres Lebens Ziel.
Sie kennen jedes Kräutleins Kraft im Wald und auf der Heide, der Wurzeln bittersüsser Saft ist ihres Herzens Weide.
Sie schauen wie mit Falkenblick durch Herz und Lung und Nieren, sehn alle Rädlein gross und klein, die unsern Leib regieren.
Steht eines still, geht eins zu schnell, rasch habens sie's erkannt, und rücken dran und stossen dran mit fein geübter Hand.
Sie geben auch dem kleinsten Weh den schulgerechten Namen, das tröstet samt Mixtur und Tee in Sonderheit die Damen.
Sie füllen ihre Mittel klug ins glänzendste Latein, wer nähme da nicht doppel gern die bittern Tränklein ein!
Doch stehn sie auch bei Tag und Nacht, bei Frost und Winterstürmen, mit ihrer Kunst auf treuer Wacht das Leben zu beschirmen.
Wenn alles weint und alles klagt dicht vor des Todes Tor, hebt oft der Arzt noch unverzagt der Hoffnung Licht empor.
Und seiner Kunst und seinem Mut lässt's oft der Herr gelingen, dem Schwachen Kraft, dem Sterbenden des Lebens Licht zu bringen.
Drum loben wir mit vollem Recht solch wackere Doktoren und freuen uns, dass diese Stadt dergleichen viel geboren
und ihrer viele diese Zunft als Ruhestatt erkoren. Doch wollt ich nicht bei solchem Lob für heute stehen bleiben,
nicht das Doktorenklee-Blatt mit Weihrauchduft betäuben. Ich lobe jeden, der mit Lust und Lieb in seinem Stand
auch andern will ein Doktor sein mit hülftsbereiter Hand. Und dieser Sinn und diese Lust zu helfen wo es fehlt,
das muss es sein, was diese Zunft so fest zusammenhält. So lang sie zählt in diesem Sinn zu Gliedern viel Doktoren,
so lang ist auch in dieser Stadt ihr Wirken nicht verloren. Ich weiss eine Patientin, sie ist gefährlich krank,
längst hat sie sich erworben, der Jugend warmen Dank. Sie leidet nicht an Fieber und nicht Gripp oder Ruhr:
Es fehlt der armen Kranken in einem Punkte nur. Es ist ihr Lebensnerv ihr fast und gar durchschnitten,
nur Gold und Silber kann ihn wieder zusammenkitten: Die Kranke ist unserer Jugend geliebte Bibliothek,
es stehet ihre Kasse stets auf dem nämlichen Fleck, und hilft man nicht, so droht ihr ein lebensgefährlich Leck.
Vielleicht kann unsere Gesellschaft ihr bester Doktor sein, vielleicht gibt sie der Kranken ein stärkend Tränklein ein,
vielleicht kommt andern dann, was hier geschehen zu Ohren, so nahen sie sich auch als freundliche Doktoren,
und würde hier in der Runde ein kleiner Anfang gemacht, dann Freunde, reute michs nimmer, dass ichs hier angebracht,
dann könnte man bald verkünden der Kinder frohem Mund: Freut euch, die Patientin, die arme, ist wieder gesund.
Und bei dem Ritterbecher, ihr Freunde zürnets mir nicht, dass abermals vom Steuern mein Lied heut zu euch spricht.
Stosst auf das Sprüchlein an, das ich mir heut erkoren: Die Doktoren leben hoch: Es leben die wahren Doktoren.
Der herumgebotene Teller enthielt Fr. 30.90
Quelle: Zunft Anthologie Urs Roesch
Zitat: Urs Roesch in der Zunftanthologie
"Wahrlich, die Dichtkunst grassierte zu der Zeit in der Zunft. Nicht nur dass es sich reimt, ja, sogar das Versmass stimmt!
Und alle Verse münden in eine Tat, meist eine Wohltat. Dieses soziale Engagement, diese Liebe zur Heimat und das
aktive Wirken der Zunftherren darf mit Fug und Recht folgenden Generationen als nachzueiferndes Vorbild dienen."